Fontainebleau
BLOCS & Boulder

"...aber zum ersten Mal macht mir Klettern richtig Spaß, denn die Angst ist abgestürzt. Klettern ist kein Kampf mehr ums Leben, es ist ein Spiel mit der Schwerkraft und mit den eigenen Möglichkeiten."
                             Reinhard Karl
"Das Zweifingerloch, rechts oben die kleine Quarzschuppe, links ein Reibungstritt und dann  durchstützen - so könnte es gehen." Erst mal die Schuhe vom Sand befreien - Fußabstreifer, dann Rollen des Pof in den Händen; mit dem anderen Ende des Tuchs, Sand vom nächsten Tritt schlagen, nochmal rollen und konzentrieren - dann lässig den Pof weg- geworfen und energisch eingestiegen.

Das Bleau-Ritual, hundertfach wiederholt. Jeder Kletterer, vor jedem Felsen. Dann Sand - Sand gibt es hier wie Sand am Meer - "mer de sable" nennen es die Franzosen. Und in diesen riesigen Sandkästen lie- gen zu Tausenden die Felsblöcke. Wirr hingeworfen. Bizarr die Formen.  Wie Elefenantenhaut oder wie erstarrte Lava. Dunkelrotbraun meist und eisenfest. Die Fantasie erkennt Tiere und Gnome. Und zwischen- durch kleine Farbtupfer, Nummern, Pfeile: die Wegweiser durchs Labyrinth. Die kletterbare Linie, sortiert nach Schwierigkeiten.

Nach einem Regenschauer ist es hier bald wieder trocken und die Was- serlöcher auf den Felsen sind gefüllt. Letzte Rettung zur Kühlung, wenn die Sonne brennt. Dann wir der Fels heiß, oft zu heiß. Aber es winkt der nächste Circuit, ein paar hundert Meter weiter im Wald, im Schatten. Lichter Wald, mannshoher Adlerfarn, Krüppelkiefern auf dem mageren Boden - "Steckerleswald " nennt sich sowas im Nürnberger Raum - oder Robinien, Eichen und Edelkastanien. ... Wildsauland. Am Abend kann man die Schwarzkittel prustend und schwer schnaufend bei ihrer Wühl- arbeit hören. Auch der bei uns schon lange ausgestorbene "Große Fuchs" gaukelt durch die Bäume. Erstaunlich wie reich die Tierwelt hier noch ist; trotz der vielen Kletterer, Wanderer und Ausflügler aus dem nahegelegenen Paris. ...

Durch den Wald führen nur zwei Straßen. Auf kurzen Sandpisten erreicht man die Parkplätze. Von dort erschließen sich lange stille Wanderungen, die Kletterparcours sind meist schnell erreicht. Zumindest der "Einstieg". Dann windet sich der Weg über die Blöcke. Oft vierzig, fünfzig Stück. Bald ist man orientierungslos und folgt nur noch der Markierung - sie wird einen wieder in die Nähe des Ausgangspunktes leiten. Sie sind spar- sam und unaufdringlich angebracht, jedes Zeichen hat eine sinnvolle Be- deutung und es dauert, bis man die Geheimschrift entziffern kann.

Die Schwierigkeitsbwertung ist in der jeweiligen Farbe meist einheitlich, aber Vorsicht, es handelt sich um die traditionelle bloc-Bewertung, nicht um UIAA-Werte! Aber selbst wenn man mal an eine zu schwierige Route gerät - was soll's, abspringen ist fast überall problemlos möglich und wo man Angst hat, läßt man diesen Fels eben aus und geht zum nächsten - "..die Angst ist abgestürzt".

Bleau ist Spiel, Kräftemessen, Schulen des Blicks, Verbesserung der Technik. Reibungsplatten wechseln mit Dächern, Wandklettereien an Quarzschüppchen, mit Rissen und Verschneidungen. Ungefähr 150 Rundwege aller Schwierigkeitsgrade sind im Wald von Fontainebleau zu finden. Sogar einige höhere Wände für Seil und Haken gibt es im süd- lichen Teil. Und wenn die Unterarme endgültig dick sind, lockt ein Eis- becher in der Stadt oder ein Ausflug nach Paris ( mit Zug oder Pkw sind's nur 60 km ins "Herzen Frankreichs").


- Dieser Artikel von mir erschien in der "onsight" im Juni 1995 - seitdem hat sich einiges geändert:  Allerhand junges Volk tummelt sich jetzt unter einigen Felsen, bewaffnet mit riesigen Matratzen und überdimensionierten Chalk- Bags ( auch wenn Magnesia immer noch nicht gerne in Bleau gesehen wird ) und probiert stundenlang ein Zwei-Züge-Problem. Die Parcours haben abgewirtschaftet und die berühmten High-end-boulders haben Konjunktur - times, they are a changin'...